Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei

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grün eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Vor 500 Jahren ...

…Anfang März 1523 erschien die folgenreiche Druckschrift Luthers mit dem Titel „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“. Luther formuliert hier seine Lehre von den „zwei Reichen“ und seine grundsätzlichen Auffassungen vom Auftrag weltlicher Machthaber.

Obwohl Luther sich bereits in seinen Predigten im Oktober 1522 mit der Thematik beschäftigte, gab erst Johann von Sachsen, Mitregent an der Seite seines Bruders Friedrich des Weisen und nach dessen Tod 1525 selbst Kurfürst, den Anstoß zur Veröffentlichung im Druck und damit zur weiten Verbreitung von Luthers Schrift. Den Fürsten hatten offenbar Zweifel geplagt, ob und in wie weit sich fürstliche Herrschaft und christliches Leben miteinander vereinbaren ließen. Denn in der Tat schienen sich die Weisungen aus der Heiligen Schrift dazu zu widersprechen: Einerseits unterstreichen Altes sowie Neues Testament die Rechtfertigung einer weltlichen Obrigkeit, die von Gott eingesetzt worden sei, und der von ihr zu übenden Bestrafung von Übeltätern. Andererseits steht dagegen das neutestamentarische Gebot der Nächstenliebe und Vergebung. Wie sollte dies in Einklang gebracht werden?

Luther scheint aber auch auf einen zweiten Impuls reagiert zu haben: Herzog Georg von Sachsen hatte in seinem Territorium das kaiserliche Verbot von Luthers Schriften umgesetzt und seinen Untertanen befohlen, etwaig noch in Umlauf befindliche Ausgaben des Septembertestaments abzuliefern. Luther ging es also auch um die Frage, welche Grenzen weltlicher Gewalt gesetzt sind.

Luthers Obrigkeitsschrift gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil begründete Luther die weltliche Gewalt als gottgewollt. Für Luther zerfällt die Menschheit in zwei Reiche: Dem „Reich Gottes“, dem alle rechtgläubigen Christen angehörten, und dem „Reich der Welt“, dem er alle zurechnete, die nicht christlich seien und daher böswillig handelten.

„Darumb hatt Gott die zwey regiment verordnet, das geystliche, wilchs Christen unnd frum leutt macht durch den heyligen geyst under Christo, unnd das welltliche, wilchs den unchristen und bießen weret, daß sie eußerlich muessen frid hallten und still seyn on yhren danck“.

Die gottgewollte Ordnung dient also der Bewahrung der Schöpfung durch die Bekämpfung des Bösen (seitens des „Reichs der Welt“) und die Verteidigung der Guten. Die Kirche hingegen bedarf der weltlichen Gewalt nicht, da sie von sich aus gut handeln und sich aus Nächstenliebe freiwillig der weltlichen Macht unterordnen.  Daraus ergibt sich für Luther aber auch der Umstand, dass Christen und Christinnen sich unter keinen Umständen von der ihnen von Gott aufgebürdeten Verantwortung entziehen dürften, also auch Johann von Sachsen nicht, den offensichtlich solche Gedanken umtrieben.

Im zweiten Teil der Schrift antwortet Luther auf das Handeln Herzog Georgs, indem er „zwei Regimenter“ unterscheidet: Das geistliche Regiment fördert den Glauben allein durch das Wort Gottes. Das weltliche Regiment hingegen regelt mit Gewalt und Gesetz allein das äußerliche Wohl (den „äußeren Menschen“), es erstreckt sich also nicht auf den Bereich der Seele und des Glaubens der christlichen Untertanen (den „inneren Menschen“). Die Verweigerung des Gehorsams ist also legitim, wenn das weltliche Regiment diese Grenze überschreitet. Die Abwehr von Ketzerei hingegen obliegt allein dem geistlichen Regiment und kann nur durch die Kraft des Glaubens geschehen.

Im dritten und letzten Teil legt Luther dem Fürsten in der Art der damals verbreiteten „Fürstenspiegel“ einen Handlungsfaden nahe, der ihn zu einem idealen christlichen Herrscher werden lassen kann. Sein Verhalten gegenüber Gott, den Räten, den Untertanen und Übeltäter solle von Liebe, nicht Eigennutz bestimmt sein.

In „Von weltlicher Obrigkeit, in wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ legt Luther seine Rechtfertigungslehre konsequent auf das Verhältnis zwischen aus Herrschenden und Beherrschten aus und wendet sich zugleich gegen die radikalen Entwürfe etwa Thomas Müntzers und anderer, die eine revolutionäre Umwälzung der bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse forderten. Allerdings waren die Obrigkeitsschrift und nachfolgende Schriften anlassbezogen entstanden, und konnten sich in Detail (etwa der Verwendung der Begriffe „Regiment“ und „Reich“; der Begriff Zwei-Reiche-Lehre findet sich bei Luther selbst noch nicht) durchaus widersprechen. Erst spätere Theologen versuchten, daraus eine grundsätzliche Systematik abzuleiten, die Luther aber wohl nie so beabsichtigt hatte. Für Luther stand jedoch klar fest, dass die Bereiche des Glaubens und die der politischen Macht klar voneinander unterschieden bleiben müssten. Letztlich resultiert aus Luthers Zwei-Reiche-Lehre bis heute zwischen den Reichen und Regimentern die Trennung zwischen Staat und Kirche als einer der wichtigen Säulen der heutigen demokratisch-freiheitlichen Grundordnung.

Übrigens: Die gegen Herzog Georg gerichtete scharfe Kritik in der Obrigkeitsschrift verfehlte offenbar nicht ihre Wirkung: Am 21. März 1523 beschwerte sich der Sachsenherzog in aller Form bei Friedrich dem Weisen über Luther. Dieser Beschwerde verdanken wir immerhin indirekt den Hinweis, dass die Schrift wenige Wochen zuvor, als vermutlich Anfang März 1523 in Druck gegangen sein muss.