Melanchthons älteste Tochter

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blau eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"
Wittenberg

Auch mit dem neuen Namen der "LutherMuseen" halten wir an altbewährtem fest und dazu gehört unsere Reihe "Heute vor 500 Jahren". 

Anna, die älteste Tochter von Philipp Melanchthon, wurde heute vor 500 Jahren geboren: am 24. August 1522.

 

“Luther sprach voll Mitgefühl mit Bekannten über Melanchthons Elend und Traurigkeit und dass dieser in seiner Niedergeschlagenheit sich in die Einsamkeit zurückziehe. Es frißt ihm sein Herz auf, doch er sollte viel lieber das Gespräch mit anderen Menschen suchen."
Luthers große Sorgen um Melanchthon werden 1538 in den Tischreden berichtet. Grund der tiefen Verzweiflung seines Kollegen war die unglückliche Ehe von dessen Tochter Anna. Was war geschehen?

Anna wurde am 24. August 1522 geboren. Da der Vater der Neugeborenen ein Geburtshoroskop erstellen ließ, wissen wir sogar die genaue Uhrzeit: nachmittags um 3 Uhr. Die Eltern, Katharina und Philipp Melanchthon, hatten am 22. November 1520 in Wittenberg geheiratet und wohnten wohl bereits an dem Ort, in der heutigen Collegienstraße, wo das stattliche Melanchthonhaus steht. Dieses Haus wurde aber erst 1536/37 errichtet; zuvor wohnte die Familie in einem bescheidenen Fachwerkhaus, das Luther einmal als “armes haus“ bezeichnete. Die Freude über die Geburt der ersten Tochter war groß, auch beim Vater, der ein Workaholic war und ständig an neuen Schriften und Büchern arbeitete. Er war höchstwahrscheinlich kein leidenschaftlicher Ehemann – in den ersten Monaten der Ehe jammerte er über die neue Knechtschaft, nie sei ihm etwas Härteres zugestoßen –, aber er war ein sehr engagierter Vater. So artikulierte er später auf seinen oft langen Reisen in seinen Briefen immer wieder die Sehnsucht, zu Frau und den Kindern heimzukehren. Anna bekam noch drei Geschwister: den Bruder Philipp, der am 21. Februar 1525 geboren wurde, den Bruder Georg, der am 25.11.1527 auf die Welt kam, aber schon 1529 verstarb, und das Nesthäkchen Magdalena, das am 19. Juli 1531 geboren wurde.

Anna war offensichtlich der Liebling Melanchthons. Jedenfalls berichtet sein engster Freund, Joachim Camerarius, von einer fast abgöttischen Liebe des Vaters zu seiner ältesten Tochter. So wollte er sie auch besonders gut verheiraten und dachte an den jungen hochbegabten Gelehrten und Dichter Georg Sabinus. Die Hochzeit wurde am 6. November 1536 gefeiert. Die junge Braut war 14 Jahre alt, der Bräutigam 28 Jahre, also doppelt so alt. Sabinus ging bei Melanchthons ein und aus und hatte als Hausschüler mehrere Jahre dort gewohnt. Das Ehepaar blieb nicht lange in Wittenberg wohnen, denn Georg Sabinus ging bereits 1537 nach Halle und wurde 1538 Professor der Poesie und Beredsamkeit an der Universität Frankfurt/Oder. 1544 stand der nächste Wechsel an: Sabinus erhielt die Berufung als Rektor an die neugegründete Universität Königsberg. In schneller Abfolge bekam das Paar Kinder, von denen sechs namentlich bekannt sind: Anna d. J. (geb. 1537; die Mutter war damals also erst 15 Jahre alt), Katharina (geb. 1539), Magdalena (geb. 1541, sie starb schon gleich nach der Geburt), Sabina (geb. 1542), Martha (geb. 1545) und Albert (geb. 1547).

Georg und Anna Sabinus führten offensichtlich eine sehr unglückliche Ehe. Von Anna haben wir kein Selbstzeugnis, doch in dem Briefwechsel Melanchthons ist die Ehetragödie seiner Tochter über Jahre ein immer wieder kehrendes Thema. Auch am Tisch Luthers wurde über die unglückliche Ehe gesprochen. Melanchthon quälte sich in langen schlaflosen Nächten mit Selbstvorwürfen, seine Tochter und seinen ehemaligen Schüler zusammengebracht zu haben und so mitverantwortlich für das Unglück zu sein. Einmal erinnerte er sich an eine Szene mit der damals noch kleinen Anna; sie illustriert auch, wie eng verbunden Vater und Tochter waren: “Ich erinnere mich, dass Anna als kleines Kind mir die Tränen von der Wange wischte mit ihrem Hemdchen; morgens war sie nur damit angezogen. Diese Geste ist mir tief in mein Herz eingedrungen, dass ich an ihre Bedeutung fest glaube.“

Für die unglückliche Ehe wird durchweg Sabinus verantwortlich gemacht – und so die Sicht Melanchthons übernommen, der dem Schwiegersohn seelische Grausamkeit vorwarf und sogar Scheidung in Erwägung zog. Camerarius hingegen sah die Angelegenheit etwas ausgewogener, verkannte nicht, dass Sabinus extrem ehrgeizig gewesen sei und offensichtlich auf mehr Protektion durch den Schwiegervater gehofft habe, berichtete aber auch von heftigen Gefühlsausbrüchen Annas, die die Folge der zu großen Nachsicht des Vaters mit der Tochter gewesen seien.

Anna starb am 26. Februar 1547, also mit erst 24 Jahren, kurz nach der Geburt des Sohnes Albert. Ihre Mutter Katharina, die Anna bei manchen Geburten beigestanden hatte, war von der Nachricht so erschüttert, dass sie lebensgefährlich erkrankte und heftige Steinschmerzen bekam. Die Kinder des Ehepaars Sabinus lebten seit 1544 immer wieder bei ihren Wittenberger Großeltern. Als die kleine Katharina nach dem Tod der Mutter zu ihrem Vater zurückkehren sollte, weigerte sie sich und blieb in Wittenberg. Nach einer unglücklichen, durch Streit geprägten Ehe bleiben psychisch instabile, oft sogar traumatisierte Kinder als Opfer zurück – im 21. und auch im 16. Jahrhundert.