Luthers Septembertestament

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grün eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"
Wittenberg

Im kulturellen Gedächtnis hat sich Martin Luther vor allem als Übersetzer der Bibel ins Deutsche eingeprägt.  Dabei stammte die Idee zur Bibelübersetzung gar nicht von ihm selbst: Als Luther nach dem Wormser Reichstag und seinem verweigerten Widerruf vor dem Kaiser als vogelfrei galt und sich inkognito auf der Wartburg verbergen musste, nutzte er seine Zeit zwar zum Schreiben – so entstand hier unter anderem die Wartburgpostille – doch der Vorschlag, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen, kam wohl erst durch die Anregung von Philipp Melanchthons zustande.  Luther war auch nicht der erste, der die Bibel in Deutsche übertrug. Er war noch nicht mal der erste, dessen deutsche Bibelübersetzung gedruckt wurde: Ganze 18 Bibeldrucke erschienen in verschiedenen deutschen Städten bereits in den Jahren zwischen 1466 bis 1522.

Luthers Übersetzung war jedoch mit Sicherheit die erfolgreichste und auch folgenschwerste. Dies hatte mehrere Gründe: Zum einen besaß Luther eine große sprachliche Begabung und zum anderen eine sehr profunde Kenntnis der lateinischen Bibel, der Vulgata, die er fast auswendig kannte. Darüber hinaus stand ihm mit der Neuausgabe des griechischen Originaltextes des neuen Testaments durch Erasmus von Rotterdam (Novum Testamentum omne) ein wertvolles Hilfsmittel zur Verfügung. In gerade einmal 73 Tagen, also etwas mehr als 10 Wochen, übertrug Luther den Bibeltext ins Deutsche. Eine beeindruckende Leistung, wenn auch viele Forscher davon ausgehen, dass Luther sich trotzdem vor allem an der lateinischen Vulgata orientierte, da seine Griechischkenntnisse eher überschaubar waren und er sich den griechischen Text wohl vor allem über den Vergleich mit der lateinischen Übersetzung erschloss.  Neu war allerdings die Ausrichtung der Übersetzung: Für alle Leser gleichermaßen verständlich sollte sie sein, etwas, woran die vorigen Übersetzungsversuche eher scheiterten, da sie zu sehr an die einzelnen Wortbedeutungen klammerten.  Dass er beim Übersetzen dem „Volk auf Maul schauen“ wollte, ist allgemein hinlänglich aus seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) bekannt, wo er seine eigene Übersetzungsmethodik beschrieb. Dennoch lag ihm an einer präzisen, kontextgerechten Übertragung der ursprünglichen Bedeutung. Schwer verständliche Passagen versuchte er also auch nicht „herunterzubrechen“, damit sie begreiflicher wurden. So schrieb er auch im Sendebrief: „Ich habe eher der deutschen Sprache Abbruch tun wollen, als von dem Wort zu weichen.“ Im Zuge dieser Genauigkeit schuf Luther auch neue Wortbildungen, wenn sie seiner Meinung nach die Ursprungsbedeutung besser trafen. Viele dieser „Nealogismen“ sind bis heute fester Bestandteil der deutschen Sprache: Begriffe wie „Lockvogel“ und „Lückenbüßer“, „Machtwort“ und „Morgenland“, und unzählige Beispiele mehr stammen aus seiner Feder. Durch seine zahlreiche Verwendung von Sprichworten und Redensarten wie z.B. „wes des Herz voll ist, des gehet der Mund über“ verhalf er ihnen zu einer bis heute andauernden Popularität.

Und noch ein weiterer Umstand ermöglichte den Erfolg von Luthers Neuem Testament: Er sprach die richtige Sprache. „ich rede nach der Sächsischen Kanzlei, die alle Fürsten und Könige Deutschlands nachahmen; alle Reichstädte, Fürstenhöfe schreiben nach der Sächsischen Kanzlei unserer Kurfürsten. Daher ist sie die verbreitetste Sprache Deutschlands“, urteilte Luther über seinen eigenen Dialekt. Tatsächlich hatte die mitteldeutsche Kanzleisprache eine Brückenfunktion für die Kommunikation in die Sprachregionen Nord- und Süddeutschlands. Luthers Bibel konnte daher in weiten Teilen des Reichs problemlos verstanden werden. 

Das fertige Manuskript brachte Luther im März 1522 mit nach Wittenberg, als er gegen vielfachen Rat sein Exil auf der Wartburg schließlich verließ. In Zusammenarbeit mit Philipp Melanchthon überarbeitete er den Entwurf und ließ ihn im September – pünktlich zur Leipziger Herbstmesse - von Melchior Lotter vermutlich in der Druckerei von Lucas Cranach d. Ä. und Christian Döring drucken. „Das Newe Testament Deutzsch“ erschien zunächst, ohne den Übersetzer namentlich zu nennen, was die Brisanz dieses Werkes noch einmal deutlich macht. Dass dieses „Septembertestament“ nicht nur den Anspruch hatte, eine wortgetreue Übersetzung des Originals zu sein, sondern auch eine reformatorische Schrift zu sein, zeigte sich auch an der Ausstattung des Bibelteils der Offenbarung des Johannes mit 21 polemischen Holzschnitten aus der Cranachwerkstatt. Das im Johannesevangelium angekündigte Weltende wurde hier so deutlich auf die Papstkirche bezogen, dass in der bald darauf erscheinenden 2. Auflage im Dezember auf Anordnung Friedrichs des Weisen Entschärfungen vorgenommen werden mussten: Die päpstliche Tiara auf dem Kopf des endzeitlichen Untiers und der „Hure Babylon“ wurden durch schlichtere Kronen ersetzt.

Der Beliebtheit des Werks tat dies keinen Abbruch: Waren schon die 3.000 Exemplare des Septembertestaments bereits nach 3 Monaten vergriffen, verkauften sich auch die nächsten Auflagen in Windeseile. Bis zum Druck der Vollbibel im Jahr 1534, die Luther zusammen mit anderen Wittenberger Reformatoren übersetzte, waren insgesamt 85 Auflagen des neuen Testaments erschienen.