Hat er oder hat er nicht?

Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt
Gemälde von Julius Hübner
Reformationstag 2024
Ausgerechnet ein katholischer Kirchenhistoriker war es, der in den 1960er Jahren Luthers Thesenanschlag für unwahrscheinlich erklärte. Seitdem folgten die meisten Forscher der Meinung von Erwin Iserloh und sprachen meist nur noch von einer „Veröffentlichung“ der Thesen. In der Tat ist sicher, dass Luther seine Thesen (eine Anreihung von theologischen Argumenten gegen die Kraft von Ablässen) an seinen Vorgesetzten, den Kardinal Albrecht von Brandenburg, per Brief verschickte. Das Schreiben, in dem Luther den Geistlichen ermahnte, seine Ablasshändler nicht mit falschen Versprechungen an die Gläubigen loszuschicken, datierte er auf den 31.10.1517. Von einem regelrechten Anschlag der Thesen an die Tür der Schlosskirche berichtete Luther selbst nicht. Hat er also nie stattgefunden?
Allerdings gehörte es zum normalen Universitätsalltag in Wittenberg, zur Vorbereitung von akademischen Streitgesprächen (Disputationen) die zu diskutierenden Thesen bereits eine Woche vorher an den „Schwarzen Brettern“ der Uni anzubringen. Und tatsächlich gibt es eine Nachricht von Luthers Mitarbeitet Georg Rörer, der vermerkte, dass die Thesen „an den Türen der Kirchen“ in Wittenberg angebracht worden seien – Schloss- und Stadtkirche dienten in dieser Zeit auch als Vorlesungsräume. Auch Andreas Karlstadt hatte dort bereits im April 1517 eigene Disputations-Thesen angeschlagen, angeblich sogar eigenhändig. Sonst erledigte das üblicherweise der Hausmeister. Erst die nachfolgenden Jahrhunderte machten auf der Suche nach einem Gründungsmythos für die evangelische Kirche aus dem alltäglichen Vorgang den Startpunkt einer neuen kirchlichen Bewegung.
Aber ob angeschlagen oder nicht - an der Wirkmacht der 95 Thesen Luthers ändert das nichts: Sobald Luthers Ideen einmal in der Welt waren, war die Reformation kaum noch aufzuhalten.