Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei

Bild
blau eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Heute vor (etwa) 500 Jahren, ...

... entstand Martin Luthers Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“. Gemeinhin wird sie als seine toleranteste „Judenschrift“ bezeichnet. Doch diese Toleranz hat einen bitteren Beigeschmack.

Es war das erste Mal, dass sich Martin Luther ausführlich über den Umgang mit Jüdinnen und Juden äußerte.

Einige Aussagen des Textes sind für Luthers Zeit durchaus recht erstaunlich:

Die Schrift beinhaltet neben theologischen Ausführungen nämlich auch die Aufforderung: Brüderlich solle man mit den jüdischen Mitmenschen umgehen, ohne Verachtung. Luther sprach sich dafür aus, Jüdinnen und Juden in die Mitte der Gesellschaft aufzunehmen, sie frei ihre Arbeit wählen zu lassen und ihnen mit christlicher Liebe zu begegnen.

Absolut selbstverständlich, würde man aus heutiger Perspektive sagen. Doch betrachtet man die Lebensrealität der jüdischen Bevölkerung im christlichen Europa um 1500, so wirken Luthers Worte bahnbrechend.

Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war die jüdische Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt aus den Innenstädten vielerorts vertrieben, da sie nicht dem „rechten Glauben“ angehörte. Oftmals wurden jüdische Siedlungen lediglich außerhalb der Stadtmauern geduldet. Tagsüber durften die Juden in die Städte kommen, um den wenigen Berufen, die ihnen erlaubt waren, nachzugehen. Politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung gab es für sie nicht und auch die Duldung konnte jederzeit widerrufen werden. Die angespannte Situation entlud sich nicht selten in Verfolgungen und Pogromen.

In den Städten, in denen Martin Luther sein Leben verbrachte, gab es solch eine Duldung lediglich in Eisleben und Mansfeld. Aus Wittenberg war die jüdische Bevölkerung schon Mitte des 15. Jahrhunderts vertrieben worden. In Kursachsen erließ Kurfürst Johann Friedrich 1536 schlussendlich ein Ausweisungsmandat. Drei Jahre später wurde den in Einzelfällen noch geduldeten Jüdinnen und Juden dann auch der Schutz durch den Kurfürsten entzogen.

Martin Luthers Ansatz der Nächstenliebe gegenüber der jüdischen Bevölkerung, seine Fürsprache und Offenheit ihnen gegenüber überraschen also zunächst positiv. Zusätzlich übt er Kritik an der Kirche, die mit Jüdinnen und Juden unmenschlich umgeht. Doch führte ihn diese Kritik zu einer problematischen Schlussfolgerung: Würde man sich ihnen zuwenden, sie integrieren und ihnen das eigene christliche Leben zeigen, würden auch Menschen jüdischen Glaubens gute Christen und Christinnen werden wollen. Unter dem Deckmantel der Toleranz verfolgte Luther also lediglich das Ziel der Missionierung. Auch seine eingangs erwähnten theologischen Ausführungen dienen hier nur dem einen Zweck: sie sollen „einige Juden für den Christenglauben gewinnen“.

Gesellschaftspolitisch hatte Luthers Text augenscheinlich wenig Erfolg, wie sich unter anderem an erwähntem Ausweisungsmandat Kurfürst Johann Friedrichs erkennen lässt.

Und auch sonst sollten Martin Luthers Bemühungen enttäuscht werden. Der für ihn logische Ansturm von Konvertiten zum protestantischen Glauben blieb aus. Einige Jahre später zeigte er sich gegenüber der jüdischen Bevölkerung bei weitem nicht mehr so gemäßigt. Um ein geschlossenes evangelisch-christliches Gemeinwesen zu sichern, forderte er schließlich sogar die Entrechtung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung bis hin zur Zerstörung von Synagogen und Verbrennung aller jüdischen Schriften.

 

Ausführlich zum Thema:

  • Kaufmann, Thomas: "Luthers Judenschriften. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung", 2. durchgesehen Auflage, Tübigen 2013.
  • Morgenstern, Matthias: "Martin Luther: Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei und andere Judenschriften", neu bearbeitet und kommentiert, Berlin 2019.