Wie Thomas Müntzer nach Allstedt kam

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blau eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Vor 500 Jahren ...

… tritt Thomas Müntzer seine Stelle als Pfarrer in Allstedt an und sorgt mit seiner Kirchenreform für Zündstoff.

Wieso es ihn in die kleine Stadt zwischen Südharz und Mansfelder Land verschlug, bleibt wie so vieles im Leben des Reformators ein Rätsel. Thomas Müntzer führte ein unstetes Leben, seit er 1521 als Unruhestifter von seiner Predigerstelle in Zwickau vertrieben worden war, reiste nach Prag und irrte durch Thüringen – stets auf der Suche nach einer Anstellung. Kurz vor Weihnachten 1522 wurde er dann Kaplan im Kloster St. Georg in Glaucha bei Halle.

Warum er als reformoffener Geistlicher in ein Nonnenkloster ging? Wahrscheinlich dachte er pragmatisch und wollte gut über den Winter kommen. Martin Luther spottete, dass Müntzer seine wahren Überzeugungen versteckt und die altgläubigen Messen, die er für die Nonnen hielt, verhöhnt habe. Gerade einmal 10 Gulden habe er für drei Monate erhalten, beklagte sich Müntzer am 19. März 1523 in einem Abschiedsbrief an seine namentlich nicht genannten Freunde in Halle. Womöglich gab es deshalb Streit mit der Äbtissin. Zumindest blieb Müntzer auch einem hallischen Buchhändler die Bezahlung für Luthers Weihnachtspostille schuldig.

Vielleicht erzählte ihm damals die Witwe Felicitas von Selmenitz von einer besseren Perspektive. Sie besuchte regelmäßig das Grab ihres Mannes im Kloster, und Müntzer reichte ihrem Sohn und ihr an Heiligabend 1522 heimlich das Abendmahl in beiderlei Gestalt, was einem Bekenntnis zur Reformation gleichkam. Weil ihr Vater und ihr Ehemann zu Lebzeiten in Allstedt Amtleute waren, hatte sie lange dort gelebt und hörte vielleicht von der Suche nach einem neuen Pfarrer. Womöglich sprachen auch die Nonnen in Müntzers Gegenwart darüber, denn einige von ihnen hatten Verwandte im Kloster Naundorf bei Allstedt.

Im Frühjahr 1523 musste der Schosser Hans Zeiß, der Verwalter Kurfürst Friedrichs des Weisen in Allstedt, eine Entscheidung treffen, nachdem der Stadtpfarrer Johannes Weber den Wunsch zur Heirat geäußert hatte. Dass Zeiß ihn vorsichtshalber entließ, zeigt die Unklarheit, die während der frühen Reformation noch in Bezug auf verheiratete Geistliche herrschte. Allerdings gab es auch Gerüchte, dass Webers Braut, die zuvor seine Köchin war, noch einen lebenden Mann in Frankenhausen habe. Eine solche Verbindung war für die Bewohnerinnen und Bewohner Allstedts untragbar.

Da vor dem Osterfest ein Pfarrer gebraucht wurde, kam Thomas Müntzer zur rechten Zeit. In der Eile stellten Hans Zeiß und die Allstedter Ratsherren ihm womöglich nicht viele Fragen. Vielleicht genügte es, wenn Müntzer von seinem Aufenthalt in Wittenberg 1519/20 erzählte. Welche Probleme konnte es schon geben, wenn er eine Empfehlung der Frau von Selmenitz hatte? Die Allstedter wollten einen reformatorischen Pfarrer und wussten wahrscheinlich kaum etwas über die Vergangenheit Müntzers. Sie handelten wohl in dem guten Glauben, dass auch Kurfürst Friedrich keine Einwände erheben würde. Als Patronatsherr der Stadtkirche St. Johannes hätte er einer Stellenbesetzung zustimmen müssen, doch dass Müntzer in Allstedt war, sollte er erst ein halbes Jahr später erfahren.

Aus Thomas Müntzers Perspektive lockte wohl die Sicherheit, die Allstedt ihm bot. Zum ersten Mal im Leben wurde er mit einer unbefristeten, gut bezahlten Stelle versorgt. Das waren ideale Voraussetzungen, um seine Vision einer christlichen Gemeinde umzusetzen.

Wahrscheinlich begann er bereits kurz nach seiner Ankunft mit der Arbeit an seiner Liturgie und Kirchenordnung. Vor allem lag Müntzer daran, den Gottesdienst in der deutschen Volkssprache zu halten. Damit war er Martin Luther einen Schritt voraus, der zu dieser Zeit noch zögerte und erst 1526 eine deutsche Messe veröffentlichte.

Müntzers Einfluss ging weit über die Stadt hinaus, und seine Predigten zogen oft hunderte Besucher aus dem Umland an. Durch diese große Öffentlichkeit fiel letztlich auch dem Kurfürsten auf, wen die Allstedter da angestellt hatten. Der altgläubige Graf Ernst II. von Mansfeld beschwerte sich im Herbst 1523, weil Müntzer seine Untertanen gegen ihn aufhetzten und ihn auf der Kanzel beleidigen würde. Als er den Kurfürsten auch noch erinnerte, dass alle Fürsten per kaiserlichem Mandat verpflichtet wären, gegen religiöse Neuerungen vorzugehen, brachte das Friedrich den Weisen in eine heikle Lage. Der Fall Müntzer wurde zur politischen Affäre. Es folgten unruhige Monate, in denen die Allstedter zu ihrem Pfarrer standen und gegen Graf Ernst und die umliegenden Klöster zusammenhielten. Am 24. März 1524 brannte schließlich die Wallfahrtskapelle Mallerbach vor den Toren der Stadt. Die Ermittlungen zu den Brandstiftern aus Müntzers Umfeld führten zu Unruhen gegen den Schosser Zeiß, der den Kurfürsten um Hilfe bat. Um einer Strafe zu entgehen, floh Thomas Müntzer in der Nacht zum 9. August 1524 aus Allstedt.