Erstes lutherisches Gesangbuch

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blau eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Vor 500 Jahren ...

... hielten lesekundige Menschen in Nürnberg erstmals ein Heft mit geistlichen Liedern in der Hand. So etwas hatte es bisher noch nie gegeben – neue, eben entstandene Lieder wurden zusammen im Druck veröffentlicht. Damit müsste sich ein Geschäft machen lassen … 

Bisher hatte man neue Lieder einzeln veröffentlicht, auf einem Blatt – daher nennt man diese Drucke Einblattdrucke. Jetzt hatte sie der Drucker Jobst Gutknecht zu einem Heft zusammengefasst. Natürlich waren vor allem Lieder Martin Luthers in diesem Heft: „Nun freut euch, liebe Christen gmein“ zum Beispiel und ein Lied von Paul Speratus „Es ist das Heil uns kommen her“. Schöne Melodien, frisch, gut zu singen, gar nicht langweilig. 

Aber die Konkurrenz ließ nicht lange auf sich warten. Auch in Erfurt wurden jetzt Liederbücher gedruckt. Enchiridien nannte man sie, Handbüchlein. Das waren nun aber schon richtige Bücher, nicht bloß Heftchen. In ihnen waren alle bis dahin entstandenen Lieder Luthers gesammelt, und andere Dichter waren auch vertreten. Auch diese Büchlein enthielten Noten, für diejenigen, die Noten lesen konnten. Aber im Gottesdienst sangen die meisten Teilnehmer auswendig. Es gab sogar Singstunden, in denen die Gemeinde die Lieder lernen konnte, die sie sang. 

Nicht nur Luther sorgte dafür, dass das Evangelium auch durch den Gesang unter die Leute kam, und auch nicht nur die Drucker. Johann Walter, Kantor in Torgau, schrieb im selben Jahr 1524 mehrstimmige Sätze für die Schülerchöre. 1524 kam auch sein Gesangbüchlein heraus – es ist das erste Buch, das den Titel Gesangbuch trägt. Luther schrieb für dieses Buch eine Vorrede, in der er die Musik als probates Medium für die Verbreitung der guten Nachricht anpries. Mit der Musik sollten die jungen Leute Lust bekommen und gerne singen.

Das sind die Anfänge evangelischer Gesangbücher und protestantischer Musikkultur. In Nürnberg, in Erfurt, in Wittenberg und in Torgau ging es damit los – und verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten über den gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus: von Straßburg nach Riga und Reval, von Flensburg nach Zagreb und nach Hermannstadt und Kronstadt in Siebenbürgen und wo immer evangelische Christen deutscher Sprache lebten. 

Dadurch sind Zigtausende von Liedern und mehrere tausend Gesangbücher zustande gekommen. Man rechnet mit ungefähr 70–100.000 evangelischen Liedern und mindestens 5.000 verschiedenen Gesangbüchern, die in den letzten 500 Jahren überall in der deutschsprachigen evangelischen Welt gedichtet und gedruckt wurden. Jede Stadt, jeder kleine Staat hatte dabei sein eigenes Gesangbuch. Wer über die Grenze in den Gottesdienst ging, traf auf ein anderes Gesangbuch: anderer Text, andere Melodie, andere Nummern – wie sollte man da folgen können?

Im Lauf der Zeit entstand deshalb der Wunsch nach einem Einheitsgesangbuch. Könnte man sich nicht auf eine bestimmte Anzahl von Liedern verständigen, die allen gemeinsam sein sollten? Und wer darüber hinaus weitere Lieder drucken und singen wollte, könnte das in einem eigenen Anhang tun. 

1854 erschien ein Deutsches Evangelisches Kirchen-Gesangbuch mit 150 „Kernliedern“. Was damals an Liedern gesammelt wurde, hat sich zum größten Teil bis in die Gegenwart erhalten. Aber bis zu einem Einheitsgesangbuch war es noch ein weiter Weg. Zuerst gab es ein einheitliches Militärgesangbuch, danach ein Gesangbuch für die Deutschen im Ausland, und erst 1950 kam das erste Einheitsgesangbuch für die Gemeinden heraus. Das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) diente für mehr als eine Generation in Gottesdienst, Schule und Haus. 1993 kam das Evangelische Gesangbuch heraus. Und nun wird bereits wieder an einem neuen Gesangbuch gearbeitet. Wie es wohl werden wird? Jedenfalls wird es neben einem gedruckten Buch auch eine Datenbank geben. Und da ist viel Platz …

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Gesangbuch Tenor, altes Papier

Geistliches Gesangbüchlein (Waltersches Gesangbuch), Wittenberg: Josef Klug, 1524

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3 Notenzeilen auf altem Papier

Geistliches Gesangbüchlein (Waltersches Gesangbuch), Wittenberg: Josef Klug, 1524

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3 Notenzeilen auf altem Papier

Geistliches Gesangbüchlein (Waltersches Gesangbuch), Wittenberg: Josef Klug, 1524

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3 Notenzeilen auf altem Papier

Geistliches Gesangbüchlein (Waltersches Gesangbuch), Wittenberg: Josef Klug, 1524