Die Wittenbergische Nachtigall

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blau eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Heute vor 500 Jahren …

... veröffentlichte Hans Sachs das Gedicht „Die Wittembergisch Nachtigall – Die man yetz höret uberall“. Mit diesem Bekenntnis zur Reformation wurde er zu einem der erfolgreichsten Meistersinger Deutschlands.


Wacht auf, es nahet gen den Tag 

Um Hans Sachs war es still geworden. Drei Jahre lang hatte es keine neue Veröffentlichung des Meistersingers aus der Stadt Nürnberg mehr gegeben. Und nun, 1523, meldete er sich zurück mit einem Paukenschlag. Sein Gedicht „Die Wittenbergische Nachtigall“, ein polemisches Bekenntnis zur Reformation, sollte sein erfolgreichstes Werk werden. 

Aber von vorn: Hans Sachs (1494–1576) war Schuhmacher. Während seiner Gesellenwanderung begann er das Studium des Meistersangs. 1516 ließ er sich in Nürnberg nieder. Mit bestandener Prüfung zum Schuhmachermeister konnte er auch Zunftmitglied der Meistersinger werden. Neben seiner handwerklichen Tätigkeit schrieb er mehr als 4000 Meistergesänge.

Die Stadt Nürnberg, in der Sachs lebte und wirkte, stand den Ideen des Reformators Martin Luther offen gegenüber. Eine Gemeinschaft einflussreicher Bürger, zu denen u.a. Lazarus Spengler, Christoph Scheurl, Albrecht Dürer und Willibald Pirckheimer gehörten, kann als Keimzelle der Nürnberger Reformation bezeichnet werden. Ab 1518 nannte sich die Bewegung „Sodalitas Martiniana“. Dennoch war die Durchsetzung der Reformation vor Ort ein schwieriges Unterfangen. Für die Freie Reichsstadt waren Gunst und Schutz von Kaiser und Papst wichtige Grundpfeiler. Mit dem Bekenntnis zum neuen Glauben und damit gegen den Papst wären diese nicht mehr garantiert gewesen. Erst 1525 wurde die Reformation in Nürnberg offiziell eingeführt. 

Eventuell lag hierin der Grund für die drei Jahre ohne neue Veröffentlichungen von Hans Sachs: Ein zu frühes Bekenntnis hätte ihn in eine unsichere Lage gebracht. Seine autobiografischen Skizzen im Jahr 1522 verraten, dass er 40 Traktate und Sermone Martin Luthers zusammenbinden ließ. Man kann also davon ausgehen, dass er sich ausführlich mit der reformatorischen Lehre beschäftigt hatte. Nach den Jahren der intensiven Auseinandersetzung, war er 1523 bereit, seine nun gefundene Überzeugung in die Öffentlichkeit zu tragen.

 

Ein‘ wonnigliche Nachtigal, ihr‘ Stimm‘ durchdringet Berg und Tal

Wacht auf, es nahet gen den Tag,
ich hör‘ singen im grünen Hag
ein‘ wonnigliche Nachtigal,
ihr‘ Stimm durchdringet Berg und Tal*

So lauten die ersten Zeilen des aus 700 Versen bestehenden Gedichts. Hans Sachs bedient sich des Mittels der Allegorie, um die Missstände in der Kirche aufzuzeigen und diesen die neue reformatorische Lehre gegenüberzustellen. Er beschreibt, wie das Mondlicht die Schafe auf der Weide geblendet hat, sodass sie dem Löwen voll blindem Vertrauen in den Wald gefolgt sind. Von Wölfen und Schlangen werden sie gepeinigt und viele schlussendlich vom Löwen in Fallen gelockt und zerrissen. Der Gesang der Nachtigall weckt die Schafe aus ihrer Verblendung und holt sie bei Tagesanbruch zurück zu ihren Hirten auf die Weiden.

Die Nachtigall, die als Vermittlerin von Weisheit gilt, symbolisiert hier keinen Geringeren als Martin Luther. Der Löwe, von dessen Irrlehren sie die Schafe befreit, verkörpert Papst Leo X. Dieser ist natürlich erbost, dass die Nachtigall die Schafe von ihm weglocken kann. Gemeinsam mit Bock, Katze, Schnecke und Schwein versucht er sie mit Gesang zurück in den Wald zu locken. Auch in diesen Tieren finden sich im Wortspiel Luther-Gegner wieder. Die murrende Katze ist Thomas Murner. Hieronymus Emser trägt den Bock in seinem Familienwappen. Der Name von Johannes Cochläus bedeutet zu Deutsch Schnecke. Johann Eck ist das Schwein, welches die Bucheckern frisst. Mit klarer Absicht teilt Hans Sachs die Tiergestalten realen Personen zu und auch die ihnen zugeschriebenen negativen Konnotationen.


Und daß ihr wißt, was er tut lehren, will ich’s in Kürze euch erklären

In den 700 Versen des Gedichts spielt Hans Sachs nicht nur mit der Allegorie. Er beweist ebenso, dass er sich tief in die lutherischen Lehren eingearbeitet hat. So erklärt er in Reimform die Rückkehr zum Wort Gottes und dass der Mensch nur durch die Gnade Gottes selig werden kann. Er ruft zur Nächstenliebe und Barmherzigkeit auf. Einige Verse widmet er Martin Luthers Geschichte und wirft den gelehrten Gegnern des Reformators vor, dass sogar ein einfacher Bauer die Rechtmäßigkeit der neuen Lehre erkennen könnte.


Die Christen aber kehren drum, zurück zum Evangelium

Hans Sachs‘ Gedicht ruft dazu auf, trotz aller Gefahr durch die altkirchlichen Gegner standhaft zu bleiben und dem wahren Glauben zu folgen. Die Schrift, in Volkssprache verfasst und als Flugschrift gedruckt, wurde zum größten Erfolg des Meistersingers. Noch im Jahr 1523 erschienen sechs Auflagen, die Hans Sachs deutschlandweit berühmt machten und Martin Luther in vielen Schriften den Beinamen „Nachtigall“ verschafften.

 

*die edierten Zeilen stammen von Charlotte Hartmann (Hrsg.): Hans Sachs, Die Wittenbergisch Nachtigall, Wolfenbüttel 2015.
Luserke-Jaqui, Matthias: „Ein Nachtigall die waget“. Luther und die Literatur, Tübingen 2016.

 

Die gesamte „Wittembergisch nachtigall“ kann man hier nachlesen.

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Titelblatt der Wittenbergischen Nachtigall

Titelblatt „Die Wittembergisch Nachtigall“ mit Titelholzschnitt eines unbekannten Künstlers, 1523

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Innenseiten der Wittenbergischen Nachtigall

Innenseiten aus der „Wittembergisch Nachtigall“