Die erste Zürcher Disputation

Bild
grün eingefärbtes Bild, weiße Sprechblase mit "Heute vor 500 Jahren"

Heute vor 500 Jahren, ...

... am 29. Januar 1523, begann die erste von drei Zürcher Disputationen, in deren Folge die Stadt Zürich zur Reformation übertrat.

Huldrych Zwingli war fast genau 4 Jahre zuvor, im Januar 1519, zum Leutpriester (Pfarrer) im Zürcher Großmünster ernannt worden. Schon zuvor in seiner Zeit als Leutpriester in Einsiedeln hatte er sich – beeinflusst von Luthers Schriften – gegen die damalige Wallfahrt- und Ablassfrömmigkeit sowie das Söldnerwesen ausgesprochen. Auch in Zürich hatte sich Luther reformatorisches Gedankengut bereits verbreitet: Am 9. März 1522 fand im Haus des Zürcher Druckers Christoph Froschauer ein demonstrativer Verstoß gegen das kirchliche Fastengebot statt: Das Verspeisen von Rauchwürsten unter Beteiligung zahlreicher Zürcher Bürger und Geistlicher ging als „Zürcher Wurstessen“ in die Reformationsgeschichte ein, in der es für die Schweiz einen ähnlichen Stellenwert wie Luthers  Thesenanschlag für Deutschland einnimmt. Obwohl Zwingli beim Wurstessen in Froschauers Haus anwesend war, beteiligte er sich zunächst nicht selbst. Wenig später jedoch verteidigte er das Fastenbrechen mit Berufung auf die Bibel in seiner Gründonnerstagspredigt, die dann wenig später auch bei Froschauer tausendfach im Druck erschien. Die Freiheit eines Christen wiege höher als das Verbot von Wein und Fleisch, das doch ohnehin eine Erfindung der Bischöfe sei.

Damit geriet er in Konflikt mit dem für Zürich zuständigen Konstanzer Bischof, den er zudem mit einem Bittbrief um die Aufhebung des Zölibats und um die Einführung einer schriftgemäßen Predigt, die sich ausschließlich an der Bibel orientiere, gegen sich aufgebracht hatte. Als selbst ein brieflicher Interventionsversuch Papst Hadrians IV. Zwingli und seine Gefolgsleute nicht zum Einlenken brachte, entschloss sich der Große Rat, das Stadtparlament der Stadt Zürich, eine Disputation zu veranstalten. In dieser sollte geklärt werden, ob Zwinglis Position nun Ketzerei darstelle oder nicht. Das war ungewöhnlich, denn eigentlich waren bis dahin Disputationen dem akademischen Rahmen vorbehalten gewesen. Dass eine weltliche Instanz zu einer solchen Streitgespräch aufrief und zudem die lokale Bevölkerung teilnehmen durfte, war ein absolutes Novum.

Am 29. Januar fanden etwa 600 geistliche und weltliche Teilnehmer in Zürich zur ersten Disputation zusammen. Da der Rat die Vorgabe gemacht hatte, dass nur auf Grundlage der Bibel argumentiert werden dürfe, unterlag die bischöfliche Seite, die sich eigentlich durch Boykott der Diskussion religiöser Fragen entziehen wollte. Gedrängt durch Zwingli mussten sie sich dann allerdings doch seinen Thesen stellen, konnten für ihre Position jedoch nur die kirchliche Tradition und die Beschlüsse der Konzilen vorbringen.  Der Rat erklärte Zwingli zum Sieger und sprach ihn (in einem weiteren Akt von Amtsanmaßung) vom Vorwurf der Ketzerei frei. Aus zwei weiteren Disputationen im Oktober 1523 und Januar 1524, in der es sich um Fragen der kirchlichen Ausgestaltung drehte, ging ebenfalls Zwingli als Sieger hervor. In der Folge wurde die althergebrachte Messe abgeschafft, Bilder aus den Kirchen entfernt, Klöster aufgehoben. Die von Zwingli angestoßenen Reformen betrafen aber nicht nur das religiöse Leben, sondern durchdrangen mit ihren Neuerungen zum Schulwesen, den Ehegesetzen und den Sittengesetzen fast alle Lebensbereiche. Diese neuartige Form der städtischen Diskussion religiöser Fragen wurde noch oftmals erfolgreich kopiert. Zwingli wurde durch die erste Züricher Disputation zum Anführer der ersten gelungenen Stadtreformation. Sein Versuch, die Züricher Reformation gewaltsam in weitere Teile der Schweiz zu übertragen, scheiterte jedoch katastrophal: 1531 fiel er im sogenannten 2. Kappelerkrieg auf dem Schlachtfeld.